Musks retrograder Futurismus
Elon Musk gefällt sich in der Rolle des unbändigen Futuristen – des «utopischen Anarchisten». Er investiert in alles, was mit Zukunft konnotiert ist: Roboter, KI-Systeme, Elektroautos, Schnellbahnen, Raketen, Satelliten, Neuroimplantate, soziale Netzwerke, wahrscheinlich bald auch Quantencomputer. Aber so «visionär» wie er meist dargestellt wird, ist Elon Musk gar nicht. Sein Futurismus erweist sich genauer betrachtet nicht als der Beginn der Zukunft, sondern als Rückfall in die Vergangenheit, vor mehr als hundert Jahren.
Und aus dieser Vergangenheit taucht jetzt sein Grossvater Joshua Haldeman auf, ein Chiropraktiker, Amateurflieger und Verschwörungstheoretiker aus Kanada. Zu einiger Bekanntheit gelangte er als Führungsmitglied einer politische Bewegung namens Technocracy Incorporated, die den Ersatz der Demokratie durch eine Autokratie von Ingenieuren und Wissenschaftlern anstrebte. Unter deren Herrschaft würde Nordamerika zu einem «Technat». Zeitweise trug man sich mit der Idee, auch Kanada und Mexiko zu annektieren. Im Technat tragen die Menschen keine Namen, sondern Nummern. Mister Haldeman war Nummer 10450-1.
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Der Reiz einer solchen Vision wird einigermassen verständlich vor dem Hintergrund der Grossen Depression in den 1920er Jahren. In den Augen der Technokraten war die liberale Demokratie gescheitert. In der neuen Welt des Technats würden nur Ingenieure und Wis-senschaftler die nötige Intelligenz aufweisen, um all die technischen und industriellen Probleme zu lösen. Eine technokratische Truppe würde die Staatsdienste eliminieren. Das weckt heute Assoziationen zum «Department of Government Efficiency» (DOGE), einer Abteilung zum Kahlschlag der Bürokratie, bestehend vor allem aus Musk-hörigen jungen Musketieren aus der Technobranche.
Die technokratische Bewegung fiel so schnell in sich zusammen wie sie sich verbreitet hatte. Sie zerfaserte in zahlreiche rivalisierende Faktionen. Die Technokraten hielten nicht viel von politischen Parteien und Prozeduren. Der Hauptgrund für ihr Scheitern aber war – der Erfolg der Demokratie. Franklin D. Roosevelts New Deal führte zu einem politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbruch, der die technokratische Bewegung bald einmal marginalisierte.
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Aber so leicht verschwindet die Idee der technokratischen Erneuerung der Gesellschaft nicht aus den Köpfen. Die Zeit scheint vielmehr geradezu überreif für sie zu sein. 2023 verfasste der Musk-Spezi Marc Andreessen ein «techno-optimistisches Manifest», in dem er das Aufkommen von Techno-Supermännern beschwört. Man liest darin zum Beispiel: «Wir können zu einer weitaus höheren Lebens- und Daseinsweise fortschreiten. Wir haben die Werk-zeuge, die Systeme, den Willen. Wir glauben, dass unsere Nachkommen in den Sternen leben werden. Wir glauben an die Grösse. Wir glauben an den Ehrgeiz, an die Agression, die Hartnäckigkeit, die Unbarmherzigkeit, die Stärke.»
Die Tonalität weckt ungute Erinnerungen. Zu den Inspiratoren seines Elaborats zählt Andreessen den italienischen Schriftsteller Filippo Tommaso Marinetti, der 1909 sein delirantes «futuristisches Manifest» schrieb. Er hämmerte Sätze wie: «Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag (..) Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert, (..) Wir wollen den Krieg verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt -, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.» Zehn Jahre später gründete ein politisches Wildtier namens Mussolini eine Bewegung, die von einem solchen hormonellen Rausch getragen war.
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Ich zögere, historische Parallelen zu ziehen. Wenn jetzt aber Musk mit Donald Trumps Wahl eine «Gabelung auf dem Weg der menschlichen Zivilisation» vor uns sieht, dann ist es angebracht, auf die Gabelung in den frühen 1930er Jahren hinzuweisen, die sich zwischen dem demokratischen und dem technokratischen Weg auftat. Amerika hat damals den ersten Weg eingeschlagen, was uns nicht zum Trugschluss verleiten sollte, dass in der heutigen Konstellation das Gleiche passiert. Wie die amerikanische Historikerin Jill Lepore kürzlich in einem instruktiven Essay in der New York Times schreibt , zeuge Musks Futurismus «von einem tiefen Mangel an politischer Imagination, von der Beharrlichkeit der Technokratie, und der Hybris von Silicon Valley.»
Technischer Fortschritt tendiert zu antidemokratischem Rückschritt. Musk und Konsorten investieren in eine oligarchische Zukunft. Sie bereiten den technokratischen Takeover vor. Die Chancen stehen gut, dass politische Phantasielosigkeit und unternehmerische Rücksichtslosigkeit, gepaart mit Mega-Technologie, dem alten Projekt zum brachialen Durchbruch verhelfen könnten. Es gibt heute keinen New Deal.